Texte einer Trauernden

Wenn ich an dich denke Papa, kommen mir Wörter wie Vertrauen, Vergangenheit, Verstehen, Veränderung, Verschiedenheit in den Sinn.

Bei deinem Tod  schrieb ich folgende Wörter von Anselm Grün auf, die ich jetzt nach dem Tod von meiner Mutter nochmal neu sehe.

Abschied tut weh!“

Von den Toten sagen wir, dass sie verschieden sind. Die Verschiedenen verabschieden sich von uns. Wir müssen Abschied von ihnen nehmen. Der Abschied scheint endgültig zu sein. Kein wiedersehen. Kein Hören ihrer ureigenen Stimme. Kein Umarmen mehr. Der Abschied schneidet uns auseinander. Er spaltet unser Herz. Und doch kommen wir nicht um den Abschied herum. Es hilft nicht, den Abschied zu verdrängen. Nur wer Abschied nimmt kann neu anfangen. Verwandle den Schmerz in Erinnerung. Erinnere Dich, erzähle. Mitte aus dem Schmerz wächst Freude und Dankbarkeit. Verwandle die Trauer in Leben. Schaue dir all deine Gefühle an. Lasse alle Gefühle zu, auch die, die du dir sonst verbietest. Alle Emotionen, haben ihr Recht, sie dürfen sein. Wenn man sich mit seinen Gefühlen aussöhnt, können sie sich wandeln. Dann wandelt sich der Schmerz in Liebe, die Wut in Verstehen, die Enttäuschung in Verzeihen. Lass dann los. Lasse den Verstorbenen los, überlasse ihm sein Grab. Der Abschied ist endgültig. Halte nichts fest, was dich mit ihm verbindet. Erst wenn du alles beerdigt hast, kann Auferstehung geschehen. Erst wenn du den Toten losgelassen hast, wird eine neue Beziehung zu ihm möglich. Das Ziel aller Trauer ist eine neue Beziehung zum Verstorbenen. Es ist anders als früher. Es ist kein Umarmen, kein Fühlen der Haut. Kein Hören der Stimme, kein Schauen des Gesichtes. Und doch ist es eine sehr intensive Beziehung. Sie inspiriert mich. Auf einmal fällt mir ein, was ich tun könnte, auf einmal weiß ich, was gut für mich ist. Es ist der Verstorbene der mich zu neuem Leben treibt, der mich auf neue Wege  führt. Auf Wege in größere Lebendigkeit, Freiheit und Liebe hinein. Die neue Beziehung zwischen Lebenden und Toten vollendet sich im Wiedersehen. Wenn man stirbt wird man ein mit all den Toten, die man geliebt hat, man wird sich wiedersehen. Das ist die tiefste Überzeugung aller Religionen, aller Weisen, aller Zweifelnde. Die Gewissheit des Wiedersehens hat viele gestärkt, sich dem Leben hier und jetzt neu zuzuwenden. Sie hat ihnen geholfen, die Trauer loszulassen und Ausschau zu halten nach dem was jetzt dran ist. In jedem Augenblick kann alte Trauer nachgeholt werden, weil man vielleicht damals noch nicht soweit war. Langsam löst sich dann der Trauerkloß, den man jahrelang gespürt hat und der einem mit einer diffusen Depressivität erfüllt hat. Man spürt neues Leben in sich.

Wie war das damals?

Letzte Erinnerungen an meinen Vater, dessen Todestag sich in dieser Karwoche das 17. Mal jährte.

Karwoche-Gründonnerstag-Karfreitag-Ostersamstag

Dieses Jahr ist alles anders, wir sind in Holland zusammen um an diese Tage zusammen Abschied von Dir zu nehmen, Papa

Zusammen……das war für Dich immer das Wichtigste. Soviel wie möglich Menschen um Dich herum. Du kamst aus einer Familie mit zwölf Kindern. Heute sind wir alle da und feiern Dein Fest. Du wirst am Ostersamstag beerdigt wie ein König. Wir sind alle da, sowie Du es immer so gerne hattest. Die letzten Monate Deines Lebens waren hart für Dich. Seit Herbst fühltest Du Dich nicht so wohl. Du bekamst die Diagnose Leukämie. Hattest enorm viel Mühe mit dem Abschied nehmen von Deiner Gesundheit, Abschied nehmen vom Laufen, vom Spazieren gehen in Deiner geliebte Umgebung. Du sagtest zuerst öfters:„ Ich bin jetzt ein Krüppel im Rollstuhl“, konntest das aber so wenden das es ein„ ich bin jetzt mobil im Rollstuhl „wurde. Kurz vor Weihnachten damals verließen Dich Deine Kräfte und dachten wir, dass alles doch schneller ging als wir erwartet hatten. Du bekamst das Sakrament der Kranken, gedacht als Stärkung in Deinem Prozess. Trotz des Ernstes der Situation wurde dieser Tag ein Festtag. Wieder waren wir alle zusammen. Du bekamst Stärkung aus Gottes Händen und wir feierten Weihnachten nochmal ein HOCH-Fest. Du bekamst nochmal fünfzehn Wochen LEBEN geschenkt, eine Zeit voller kostbare Erinnerungen für uns und Dich. Du feiertest noch Deinen Achtundsiebzigsten Geburtstag. Wieder waren wir alle zusammen und Du freutest Dich über alle Bekannten, Freunde und Familie die Dir die Natur in Form von Tulpen, Krokussen, Rosen, Blauen Träubchen, so viele Blumen ins Wohnzimmer brachten. Du warst immer so ein naturverbundener Menschen gewesen. Deine Augen strahlten wie diese Farbenpracht. Das war der letzte Höhepunkt mit so vielen Menschen, danach nahmst Du Abschied von einzelnen Menschen, Bruder und Schwester, Freunde. Sie waren da, jeden Tag. Du kamst nochmals ins Krankenhaus und bekamst fürchterliches Heimweh nach Mama, nach Deinen vertrauten Gesichtern, die Pflegekräfte. Du wusstest, dass Du nicht mehr  viel Zeit hattest und wolltest nach Hause, nach Parc Imstenrade, zu Deinen Pflegepersonen. Und mit Hilfe von Eurem Hausarzt und das Pflegepersonal im Haus wurde Dir die Möglichkeit gegeben und konntest Du noch zwölf Tage Zuhause sein in vertrauter Umgebung. Wieder strahlten Deine Augen Dankbarkeit aus und stand das Wohnzimmer in einer Blumenpracht. Dann kam unser Abschied. Gott wählte da einen Weg, den wir selber nie für möglich gehalten hätten, obwohl ich jetzt von der Arbeit aus, doch regeln konnte einen Tag früher zu kommen als geplant, wobei Du mir in der Woche, viermal am Telefon versichert hattest , das Du es bis dorthin nicht mehr schaffen würdest, verstarbst Du während unser Telefongespräch und obwohl sechshundert Kilometer Entfernung zwischen uns lagen, waren wir uns näher als je. Wir waren wieder alle zusammen. Am  Morgen hattest Du einen Infarkt gehabt während ich in der Pflege arbeitete. Meine Geschwister mit ihren Partner waren schon den ganzen Morgen bei Dir. Als ich anrief, weil ein Zettel neben dem Telefon Zuhause lag, fragte ich nach meinem Vater. Meine Schwester legte Ihm das Telefon am Ohr, Papa hörte, dass ich meinem Namen sagte und ich hörte ein Geräusch, in dem Moment verstarbst Du. Ich war fünfundzwanzig Minuten am Telefon, meine Schwester sagte mir genau was jetzt passierte und so machte ich den Sterbensprozess von ganz nah mit, auch wenn uns mehr als sechshundert Kilometer trennten. Wir waren wieder alle zusammen. Du starbst um 13.25 Uhr, um halb drei hatte ich mein erstes Arbeitsgespräch mit dem Vorstand vom Ambulanten Hospizdienst Hochrhein e.V. Ich hatte  dort eine neue Arbeitsstelle als Koordinatorin bekommen. Zuerst wollte ich nicht dahin gehen, doch dann dachte ich: “Wenn sie mich nicht verstehen können, wer dann?“ Und ich bin doch gegangen. So warst Du der erste Mensch, den ich mit begleitete. Diese Arbeit tat ich in den nächsten elf Jahren mit sehr viel Liebe. Vertrauend auf die tragende Kraft von Gott, geben wir Dir jetzt aus den Händen, dass Du ruhen darfst in Frieden. Dass wir Augen und Hände finden mögen, die mittragen werden, denn wir werden Dich vermissen. Ganz arg. Du hattest so ein geräumiges Herz, es war Platz für viele, es war immer noch Platz für mehr. So war es auch in Deinem Haus, nie kam man dort umsonst, nie war man zu lange da. Man ging bei Dir nie weg mit leeren Händen, Du fülltest sie mit Wärme und Liebe. „An Gottes Segen ist alles gelegen“, dieser Satz konnte ich oft hören, wenn ich mit meinen Eltern zusammensaß. Heute habe ich oft den Eindruck, dass dieses Bewusstsein längst in Vergessenheit geraten ist. Und doch gibt es von Zeit zu Zeit Situationen, da ahnen wir etwas davon dass wir ohne Gott auf verlorenen Posten stehen. Dann ist es gut, sich an Gottes Segen zu erinnern, von dem jeder Mensch lebt. Wer wieder beginnt Gottes Spuren in seinem Leben zu entdecken, der lebt anders. Und wer anfängt Gott dafür wieder zu danken, der beginnt eigentlich erst richtig zu leben. Im Jahr der Bibel las ich einen Artikel von einer Lehrerin und Mitarbeiterin im Liturgiekreis St. Fridolin Gabriele Oechsler war Ihr Name: Da sagte Jesus zu ihm:“Steh auf und nimm Deine Bahre und geh!“ Joh5,9. Dieses “Steh auf!“, ist es immer wieder das mich in meinem Alltag begleitet und an dem ich mich immer wieder aufrichte. In viele Heilungsgeschichten sagt Jesus:“Steh auf!“ Er zeigt das Aufstehen eine notwendige Voraussetzung ist um heil zu werden. Aufstehen erfordert Eigeninitiative, die Bereitschaft heil werden zu wollen. So fragt Jesus den Kranken am Teich Betesda zunächst: „Willst Du gesund werden?“ Jesus nimmt ihn ernst. Er traut ihm etwas völlig Unerwartetes zu:“Steh auf!“ Wie ist das wenn wir uns aufrichten? Wir spüren den Boden wieder unter unseren Füßen, unser Atem kann fließen, unser Rücken entspannt sich, unser Rückgrat stabilisiert sich und unsere Augen bekommen eine neue Blickrichtung – wir leben aus unserer Mitte. Meines Erachtens ist das die Haltung, die Gott für uns will. Wie sieht das im Alltag aus? Ich bin dankbar Menschen zu kennen, die immer wieder aufstehen, die sich bemühen, aufrecht durchs Leben zu gehen, aufrichtig ihr Leben zu gestalten. Sie sind wichtig, da wir uns an ihnen immer wieder aufrichten können. Es gibt aber auch Menschen in unserer Umgebung, die uns brauchen, damit sie wieder aufstehen können. Oft genügt ein ermutigendes Wort, ein Lächeln, ein Gespräch, ein anerkennendes Lob, ein Zeichen der Wertschätzung. Bevor wir zu anderen sagen:“steh auf“, ist es notwendig, das wir dieses Aufstehen selbst  immer wieder einüben. Für mich steht dieses „ Steh-auf“ der Auftrag Gottes an mich, aufrecht vor ihm zu stehen, nicht gekrümmt, gebeugt oder ängstlich. Das heißt, für meinen Alltag, nicht klagen über das was ich nicht kann, sondern meine Fähigkeiten zu entwickeln.“ Steh auf , heißt aber auch, eingefahrene Wege und Gewohnheiten zu überdenken, zu sich selbst zu stehen mit all seinen Fehlern und Schwächen, einen ersten Schritt wagen ,auf einen Menschen zugehen, ein längst nötiges Gespräch zu führen, eine unangenehme Arbeit in Angriff zu nehmen oder ganz einfach morgens, wenn der Wecker klingelt, auf zu stehen und den Tag im Vertrauen auf Gott zu beginnen. Vertraue darauf, sagt Anselm Grün, dass durch den Abschied von dem Verstorbenen in dir neues Leben aufblühen möchte. Du bist einmalig. Du bist etwas Besonderes. Du bist in dir Wertvoll. Was ist deine tiefste Berufung, was möchte in Dir neu wachsen. Welche Spur sollst Du in dieser Welt jetzt gehen. Bitte den Verstorbenen, damit er Dir das zeigt. Dann schaust Du nicht mehr zurück. Dann wirst Du Deinen Blick in die Zukunft richten und Du wirst mit neuer Kraft und Lust Deinen Weg gehen, deine Botschaft erzählen, bist du als einmaliger Mensch eins wirst mit dem einzigartigen Menschen, der dir vorausgegangen ist. Papa, ich sage Dir „DANK“ für den wunderbaren Menschen, der Du warst.

Vater – neuer Beitrag von Linda Karen

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